Das ehemalige Kloster Ober-Werbe

Auf der steil abschüssigen Sandsteinfelswand des Langen Steines. hoch über dem Werbetal nordwestlich über dem Dorf Ober-Werbe gelegen, trotzen eindrucksvolle Ruinen mittelalterlicher, im 16- und 17. Jahrhundert veränderte Baulichkeiten dem Zahn der Zeit, Jener schroffe Felsen wurde im Jahre 1575 einer waldeckischen Prinzessin zum Verhängnis. Bei den Ruinen handelt es sich um Reste des ehemaligen Benediktinerklosters St. Maria. welches im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts als Mönchskloster gegründet und 1206 erstmals als Nonnenkloster genannt wurde, was es bis zu seiner Auflösung durch die Reformation blieb und zuletzt (seit l578) eine gräflich-waldeckische Meierei war und Mitte des 17. Jahrhun derts in Verfall geriet Man erreicht die Klosterruinen auf einem weniger mühevollen Weg aus Richtung Sachsenhausen über einen Friedhof. Der steile Abfall folgt in südlicher Richtung. Es ist ein Sand- steinbau von größtenteils steinsichtig Verputztem lebhaften Bruchstein, und besteht aus einem ostwestwärts gerichteten Mauerstück von 0,90 m Dicke und etwa 12 m Länge. Darin sind flachbogige Fensteröffnungen. z.T. mit zwei Geschossen. Am westlichen Mauerende. nach Norden gerichtet, befindet sich ein rechtwinklig anstoßendes Mauerstück von 0,80 m Dicke mit Kaminansatz und Schlot. flachbogiger Öffnung links und vermauertem Rundbogen rechts davon, Einen lebendigen Eindruck von den Ruinen und der steilen Felswand vermitteln die Abbildungen.

Ein Blick vor der Felswand zeigt uns das Band des Werbeflüßchens, das einst die Grenze zwischen dem waldeckischen Dorf Ober-Werbe und dem hessen-darmstädtischen Dorf Oberwerba bildete. Das letztere Dorf gehörte bis 1866 zu dem hessen-darmstädtischen Kreis Vöhl. der bis dahin aus dem Marktflecken gleichen Namens und 18 Ortschaften der Herrschaft Itter bestand. In jenem Jahr mußte Hessen-Darmstadt dieses Gebiet an Preußen abtreten und der bisherige Kreis Vöhl wurde dem Kreis Frankenberg zugeschlagen. So bildete hier das Werbeflüßchen bis 1929 die Grenze zwischen Waldeck und Preußen und blieb dann durch den Anschluß Waldecks an Preußen bis zur jüngsten Gebietsreform die Grenze zwischen den Kreisen Waldeck und Frankenberg.

 

 

 

Zur Geschichte des Klosters Werbe, Eine ältere Überlieferung. wonach dieses Kloster 1038 durch Graf Wittekind II v. Schwalenberg und Waldeck und seiner Gemahlin Adelgund, geb. Gräfin v. Pesse, gestiftet wurde, ist geschichtlich nicht belegt. — Das Benediktinerkloster Werbe wurde von einem Grafen Diemo Temmo gestiftet, um 1124/30 durch Papst Honorius II. in den Schutz des Hl, Petrus und des apostolischen Stuhles genommen. Der Papst bestätigte alle dem Kloster von diesen Grafen gestifteten Güter.

Das Kloster mußte dafür jährlich einen goldenen Byzantiner an den lateranischen Palast zu Rom zahlen und erhielt das Recht, sich einen Vogt zu wählen. 1155 übergibt Papst Hadrian IV, die Vogtei dem Kloster Corvey. Es war zunächst ein Benediktiner-Mönchskloster.

Bereits 1206 ist es ein Benediktiner-Nonnenkloster zur HI, Maria. das Papst lnnozenz III. mit allen seinen Gütern unter seinen Schutz nimmt. 1207 wird erstmals das Dorf Ober-Werbe als ‚villa Werbe‘ von Niederwerbe als „inferior Werbe geschieden. In letzterem Dorfe besaß das Kloster drei Hufen und zwei Mühlen. 1231 nimmt Papst Gregor IX. das Kloster Werbe mit seinen Gütern unter seinen Schutz und erteilt ihm einige Privilegien. 1273 verzichtet Heinemann v. Itter auf seine Rechte an Ober-Werbe zugunsten des Klosters Werbe.

Abt Hermann von Corvey bevollmächtigte am 13. März 1493 den Grafen Philipp II, v. Waldeck, das Kloster Werbe mit Hilfe des Abtes Johann von Bursfelde zu reformieren und mit reformierten geistlichen Jungfrauen des Ordens Sancti Benedicti zu besetzen. Graf Philipp II v. Waldeck überträgt am 8. Mai 1494 das Kloster, in dem der Gottesdienst in Verfall geraten war, der Äbtissin Asseln Zwamkens zu Vinnenberg in Westfalen, und bestätigt dem Kloster alle früheren Rechte und Privilegien. Im gleichen Jahr verzichten die Brüder Wolff v. Gudenberg zu ltter auf alle Ansprüche, die sie an das Kloster hatten. 1499 ist Abt Johann von Abdinghofen (in Paderborn) mit der Verwaltung des Klosters beauftragt. 1518 erfolgt eine abermalige Reform mit Hilfe der Bursfelder Kongregation durch die Priorin Christina v. Scherbe.

1537 hebt Graf Philipp IV, v. Waldeck im Zuge der Reformation das Kloster auf und setzt einen Vogt als Verwalter über die Klostergüter ein. 1541 wird als „Befehlshaber" in Werbe Johann Soesken genannt.

Seit 1528 erfolgen Austritte und Abfindungen von Klosterinsassen: 1528 der Gertrud Leussmann aus Korbach, 1530 der Anna v. Cratzenstein, 1538 der Anna v, Swerte, l540 der Agathe v. Hemighausen, 1541 der Catharina v. Wolmeringhausen und Belga Döring (beide heiraten zwei Brüder v. Cratzenstein zu Höringhausen) und 1542 der letzten Äbtissin Christina v. Scherbe, die den ersten evangelischen Pfarrer zu Werbe, Caspar Jäger, heiratet. Am 22. September 1549 richtet der Abt Caspar von Corvey an den Erzbischof Adolf von Köln die Beschwerde, daß Graf Philipp v. Waldeck sich mit Gewalt des dem Kloster Corvey zustehenden Klosters bemächtigt und alle Klostergüter und Einkünfte eingezogen habe und bittet um Wiedereinsetzung in seine Rechte. Schon am 24. September desselben Jahres fordert der Kölner Erzbischof den Waldecker Grafen Philipp auf, aufgrund des Augsburger Religionsbescheids das Kloster Werbe an den Abt von Corvey zurückzugeben. Graf Philipps Antwort vom 20. Oktober weist drauf hin, daß das Kloster in sich selbst zerfallen und die meisten Nonnen aus ihm ausgetreten seien, und betont „da sich Corvey des verfallenden Klosters nicht angenommen habe, so habe er als Landesherr und Obrigkeit des Ortes für die Erhaltung der Gebäude gesorgt, somit stehe dem Abt von Corvey ein Einspruch nicht zu.“ Wegen dieses Streites kommt es vom 3. bis 13 März 1550 zu mündlichen Verhandlungen zwischen Graf Philipp IV, v. Waldeck und Johann v. Amelunxen, dem Propst des Stiftes Marsberg als Abgesandten des Abtes von Corvey. Graf Philipp macht geltend, daß das Kloster zu seiner Obrigkeit gehöre, daß er das Aufsichtsrecht von jeher hatte, daß er für die Erhaltung der Klostergebäude und seiner Insassen gesorgt habe und das Wort Gottes darin habe predigen lassen; auch läge das Kloster Werbe nicht im Corvey sondern im Mainzischen Sprengel.

 

 

 

Demgegenüber präsentiert der Abgesandte Corveys die Übenragungsurkunden der Advokati durch die Päpste Hadrian IV. und Victor sowie eine Bestätigung durch Kaiser Karl V. von 1525. Die Verhandlungen verlaufen ergebnislos; Graf Philipp behauptet sich im Besitze des Klosters.

Am 5. Mai 1553 verkauft Graf Philipp IV, v. Waldeck das „Haus Werbe" mit allem Zubehör, Zehnten, Gefällen und Mühlen für 3800 Goldgulden und 1200 Joachimsthaler an Wilhelm Wolff v. Gudenberg. Der Käufer über nimmt die Pflicht, die vier noch ansässigen Klosterpersonen zu verpflegen und die Pfarre zu besetzen. Schon am 29. September verpfändet Margarete, Witwe des Wilhelm Wolff v. Gudenberg das Haus Werbe an Graf Samuel v. Waldeck, einem Sohn des Grafen Philipp IV. Die Rückzahlung der Kaufsumme erfolgt am 9. Mai 1564. nachdem der Hessische Rat Simon Hing das Haus Werbe mit allem Zubehör unter den gleichen Bedingungen am 1. Mai 1564 erworben hatte. Hierbei werden die vier Nonnen nicht mehr genannt.

Simon Bing war 1534-1537 Kanzleischreiber zu Kassel, dann bis 1552 Kammersekretär; während der Gefangenschaft des hessischen Landgrafen Philipp (1547—1552) zählte er zu den Räten in Kassel und nach der Rückkehr des Landgrafen aus der Gefangenschaft wurde er zum Rat in der Kanzlei zu Kassel befördert. Unter Landgraf Wilhelm IV. (1567—1592) wird er als Kammermeister und Hauptmann in Ziegenhain genannt. Bing starb am 30. November 1581, 64 Jahre alt; sein Grabdenkmal befindet sich in der Brüderkirche zu Kassel. Am 1. Mai 1569 löst Graf Heinrich IX. v. Waldeck (Bruder Samuels) das Haus Werbe von Simon Bing wie der ein und bewohnte es bis zu seinem am 7. Juni 1577 erfolgten Tode.

In dieser Zeit ereignete sich das tragische Schicksal der waldeckischen Prinzessin Margarete. Der oben erwähnte Graf Samuel v. Waldeck starb am 6. Januar 1570 mit 41 Jahren, worauf seine 32jährige Witwe Anna Maria sich heimlich mit ihrem Sekretär, Magister Gobert Raben, genannt Kalbskopf, verheiratete, und dies mit einer lebenslänglichen Verbannung im Gut Höhnscheid büßen mußte, wo sie am 11. August 1583 im Alter von 45 Jahren verstarb.

Margarete war eine Tochter dieses Grafenpaares. Graf Samuel v.. Waldeck hatte sieben Kinder, von denen bei seinem Tode nur noch zwei am Leben waren, nämlich Günther, der spätere Graf v. Waldeck und jene Margarete. die beim tode ihres Vaters sechs Jahre alt war. Prinzessin Margarete wurde im März 1564 zu AItwildungen geboren. Nach der Gefangennahme ihrer Mutter wurde sie bei ihrem Oheim. dem Grafen Heinrich IX. v. Waldeck, der auch ihr Vormund war, zu Ober-Werbe erzogen und von dessen kinderloser Gemahlin Anna v. Viermund mit Liebe behandelt. Sie nahm aber in ihrem 12. Lebensjahr eine unglückliches Ende. Am 1. Juni 1575 kletterte sie nach der Mittagsmahlzeit mit einer Gespielin an den Felsen, auf welchem das Kloster Oberwerbe liegt, herum. um Blumen zu pflücken, oder, wie auch erzählt wird, um ein Taubennest zu suchen, Dabei stürzte sie mit ihrer Begleiterin den steilen Abhang hinunter und war sofort tot. Das andere Mädchen kam ohne erhebliche Beschädigung davon. Sie wurde am 3. Juni in der Kirche zu Niederwildungen begraben, wo eine Inschrift des Leichensteines von ihrem Schicksal berichtet.

Nach dem Tode des Grafen Heinrich IX. wird das ehemalige Kloster 1578 zu einer gräflichen Meierei umgewandelt und von gräflichen Meiern verwaltet. 1609/10 werden die Klostergebäude repariert. 1623 wird die Klostermeierei im Tausch gegen die Meierei Berich dem Landesgymnasium zu Korbach übereignet. 1640 wird unterhalb des Klosters eine neue Meierei gebaut und das Holz der zerfallenen Klostergebäude dafür verwendet.

1657 werden die Ziegel vom Dach des Klostergebäudes abgenommen, da dieses einzustürzen droht. 1658 erfolgt ein weiterer Abbruch und der Bau einer neuen Meierei-Scheune aus dem Material der Klostergebäude. Seitdem ist ‚das Kloster Ober-Werbe eine Ruine. die heute noch dem Wanderer als Ausflugsziel und Sehenswürdigkeit dient.